Laura Schmidt: Es braucht nicht immer alles überall und jetzt
Die Augsburgerin Laura Schmidt begleitet Polarexpeditionen. Als Eisbärenwächterin hat sie das Forschungsteam des Eisbrechers Polarstern während „MOSAiC“*, der größten Nordpolexpedition unserer Zeit, vor den größten Landraubtieren der Erde bewacht.
Ab sofort ist sie ein Teil unseres #NORMALROUTENVERLASSER-Teams und wir werden sie von nun an regelmäßig auf ihrem Weg durch den Norden begleiten. Laura im Gespräch darüber, wie es ist, stundenlang auf das Eis zu starren und monatelang „nichts“ zu sehen.
Laura, herzlich willkommen hier bei uns. Wie ist es so zurück in der Zivilisation?
Laura: Dankeschön. Sehr ungewohnt. Erst gestern stand ich in den Tölzer Bergen und habe mir gedacht: Schon komisch – für die Leute hier ist das die Wildnis. Dabei gibt es keine gefährlichen Tiere und es sind überall Schilder, Wege, Gasthöfe und ein flächendeckendes Handynetz.
Du lobst das bayrische Handynetz? Da dürftest Du aber eine der wenigen sein.
Laura: Weißt Du, wenn man wochenlang mit seinem Smartphone vom Schiff im Nordmeer aus nur 50 KB große Fotos versenden und ansonsten mit zu Hause nur per teurem Satellitentelefon sprechen konnte, verändern sich die Maßstäbe. Ich finde, es braucht nicht immer alles überall und jetzt. Wobei das fortwährende „Nichts“ auf dem Schiff schon auch belastend war.
Sich daran gewöhnen, monatelang “nichts” zu sehen
Als wir während „MOSAiC“ immer wieder per Mail in Kontakt waren, sprachst Du davon, dass Du bisher noch kein einziges Mal die Sonne gesehen hast, Ihr mit Eurem Schiff ungeplant die Scholle verlassen und alle Instrumente evakuieren musstet. Hast Du irgendwann mal Deinen Entschluss bereut, Dich für so lange Zeit einer solchen Situation auszusetzen?
Laura: Nein, nie. Ich wollte an Bord und habe deshalb sogar zwei Wochen allein in einem Hotelzimmer in Quarantäne verbracht, um die Corona-Regeln einzuhalten. Aber es stimmt, die Zeit war hart und es ist viel passiert. Was letztlich im Hinblick auf Ablenkung ja auch nicht so schlecht ist, wenn man mitten im Nichts feststeckt. Und Sonne gab es wirklich nur an wenigen Tagen, Nebel hingegen dauernd. Das liegt an den kalten Luftmassen, die sich über dem verhältnismäßig warmen Meer bewegen. In der Antarktis ist das genau umgekehrt.
Wenn ein Eisbär vor Dir steht, hast du etwas falsch gemacht
Warst Du schon in der Antarktis?
Laura: Nein, aber das wird sich hoffentlich bald ändern. Ich bin schon gespannt auf all die Tiere und ein Umfeld, ohne die ständige Gefahr durch Eisbären. Die Pinguine zum Beispiel, freuen sich, Dich zu sehen und watscheln sofort auf Dich zu. Was Tiere angeht, ist die Antarktis im Vergleich zum Nordpol fast schon eine Art Heidiland in Weiß.
Du hast die Eisbären angesprochen. Wie ist es, auf einmal dem größten Landraubtier der Erde ohne trennendes Zoogitter gegenüberzustehen?
Laura: Also, wenn Du ihm „auf einmal gegenüberstehst“, war er entweder verdammt leise, oder Du zu unaufmerksam. Das ist mir glücklicherweise nur einmal auf Grönland passiert und es ging gut aus. Während MOSAiC hatte ich während meiner Schichten insgesamt um die dreißig Sichtungen.
Was passiert, wenn Du einen entdeckst und Leute auf dem Eis sind?
Laura: Dann gibt es ganz klare Abläufe und Regeln wann ich was tun darf und nicht. Im Fokus steht die frühestmögliche Information des Teams, das dann so rasch wie möglich runtermuss vom Eis. Danach geht es darum, dass der Eisbär es sich bei uns nicht gemütlich macht, oder sich an unser Schiff gewöhnt. Töten – und das ist für mich die wichtigste Botschaft an die Öffentlichkeit – dürfen wir ihn nicht, es sei denn, es sind akut Menschen bedroht. Dann hätte ich im Vorfeld aber Fehler gemacht. Im Zentrum steht somit das, was wir „verbrämen“ nennen: Lärm machen, in die Luft schießen, etc. – er soll mit uns einfach nichts Schönes verbinden. Zu seiner und unserer Sicherheit. Denn Eisbären kuscheln nicht.
30 Sichtungen in – wie viel – 90 Tagen auf dem Eis? Wie ist das so, 8 Stunden am Tag ins Weiß zu starren und dabei nach weißen Tieren zu suchen? Wird man da nicht paranoid?
Laura (lächelt): Zunächst mal: Eisbären sind eher gelb. Aber Du hast schon recht. Es strengt brutal an zu wissen, dass die Sicherheit der Leute und des Eisbären selbst von Dir und Deiner Aufmerksamkeit abhängt. Klar nimmst Du da das Fernglas lieber einmal öfter zur Hand als nötig. Aber das ist nun mal der Job und auch OK. Glücklicherweise habe ich ja nie acht Stunden durchgearbeitet, sondern habe mich mit anderen Wächtern abgewechselt, oder auch mal andere Ausgucke genutzt.
Ich will erzählen, was im Eis vor sich geht
Nun bist Du wieder hier – wie geht es jetzt für Dich weiter?
Laura: Ich schreibe gerade an meinem Buch und plane mittelfristig – unter anderem ja auch mit Euch – meine Vortragstätigkeiten deutlich auszuweiten. Mir ist es wichtig den Menschen davon zu erzählen, was im Eis vor sich geht. Die Welt dort ist so unglaublich schön und ich finde wir haben eine Pflicht, sie für künftige Generationen zu bewahren. Dabei ist der Klimawandel natürlich ein zentrales Thema, aber nicht das Einzige. Denn mir liegen auch die Auswirkungen unserer modernen Kultur auf das eher traditionelle Leben der Inuit in Grönland am Herzen, mit denen ich einige Monate leben durfte. Ich möchte dazu beitragen, dass wir beginnen, auf die Welt als Ganzes zu blicken – und nicht immer nur auf unseren eigenen Vorteil. Naiv, ich weiß. Aber für mich ist es das wert, sich dafür ins Zeug zu legen.
Danke Dir für das schöne Gespräch. Wir sind auf Deine Geschichten gespannt, finden das überhaupt nicht naiv und freuen uns jetzt schon darauf, Dich dabei zu unterstützen.
*Über MOSAiC: Im Rahmen von MOSAiC, der größten Polarexpedition unserer Zeit, hat sich der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam über Monate im Nordmeer einfrieren lassen, um dabei vor Ort mehr über die dortigen Abläufe rund um den Klimawandel herauszufinden. Die Expedition dauerte von September 2019 bis September 2020 und wurde vom deutschen Alfred Wegener Institut koordiniert. Projektleiter war Markus Rex. Mehr zu MOSAiC.
Interview und Text: Markus Schaumlöffel
Fotos Skylounge: (c) proteco involtainment group
Fotos Expedition: (c) MOSAiC_NixonLianna und Laura Schmidt
Foto Klettern: (c) Laura Schmidt
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