Auf der anderen Seite der Angst
Was möglich ist, wenn man es einfach tut. Ein Ausblick mit Sachenmacher Bernd Beigl.
Sich auf der Suche nach sich selbst ständig neu zu erdenken scheint Auslöser für irrwitzigste Ideen. Sie dann aber auch umzusetzen? Königsdisziplin. Gäbe es einen Titel für ebenjene Disziplin, so stünde in Bernd Beigls LinkedIn-Profil Erfinder der Selbsterfindung – oder aber dem Zeitgeist entsprechender: CEO of Selfinvention. Die Komfortzone des 55-jährigen Multigeneralisten und Weltbürgers beginnt nämlich dort, wo sie für normale Menschen endet. Aber mal ehrlich – was ist schon normal?
Jeder Tag bietet 1000 Möglichkeiten.
Jung wagt der gelernte Bankkaufmann den Absprung vom krisensicheren Job zur weniger krisensicheren Lebenskunst. Ideen bleiben eben nur Ideen, wenn sie niemand ausführt. Sie dirigieren den Tausendsassa in TV-Shows, küren ihn zum mehrfachen Weltrekordhalter diverser Disziplinen oder lassen ihn Länder mit Muskelkraft bereisen. Sie bringen Angela Merkel dazu, ihm die Hand zu schütteln, rollen ihn mit dem Tretroller ans Nordkap oder ermuntern dazu, eine internationale Kulturküche* in Augsburg zu gründen. Meist erfolgreich meistert er auch das Scheitern meisterlich: ein langjähriges Insolvenzverfahren. Nicht jede Idee gelingt. Erfolg und Scheitern liegen eben eng beieinander.
* Die Kulturküche Augsburg ist ein preisgekröntes Integrationsprojekt, das Migrantinnen und Migranten den Weg in die Arbeitswelt ebnet und gesellschaftlich verbindet.
Ich hatte kaum noch Kraft
»Natürlich ließ mich das nicht kalt. Es ist schwer, nach so einem Verfahren optimistisch in die Zukunft zu schauen. Das Insolvenzverfahren, das mit dem Ende der Kulturküche einherging, ließ mich in ein Loch fallen. Ich hatte kaum noch Kraft danach und musste sie zuerst bündeln, um da wieder rauszukommen. Letzten Herbst war sie dann plötzlich wieder da, diese Energie. Ich empfinde es als großes Privileg, sie in meinem Alter noch immer zu spüren.«
Die Energie, von der Bernd spricht, hat er bereits in drei mögliche Aktionen für das Jahr 2024 kanalisiert. Entweder mit dem Hochrad quer durch Amerika fahren, mit dem Hochrad Australien umrunden oder aber endlich den bereits lang gehegten Traum realisieren: Zu Fuß um die Welt laufen. Was in fremden Ohren schier verrückt klingt, ist in Bernds Welt Lebensphilosophie. »Je älter man wird, desto schwieriger ist es, diese Möglichkeiten auch zu ergreifen. Nicht aus Unfähigkeit, sondern aus Angst und Gewohnheit. Innere Barrieren werden nicht kleiner, je länger wir uns in unserer Komfortzone aufhalten. Ich weiß das, ich überschreite sie schließlich regelmäßig.« (lacht)
Ich muss mir nichts mehr beweisen
Dass er vor seinen Herausforderungen Fieberblasen vor Stress und Aufregung bekommt, daraus macht der Extremsportler keinen Hehl. Doch was sich nach wenigen Tagen an positiven Selbsterfahrungen einstellt, scheint das Brennen und Jucken allemal wert. So beschreibt er mitunter einen mitfühlenderen und offeneren Blick auf die Welt, den er bei seinen Aktionen erlangt. Und auch einen viel gnädigeren Blick auf sich selbst. Ob das süchtig macht? Auf die Frage, ob es nicht irgendwann mal genug sei mit den ganzen Aktionen, antwortet Bernd jedenfalls völlig zweifelsfrei: »Ich muss mir nichts mehr beweisen. Ich mache das aus Überzeugung und um zu zeigen: Schaut her, was alles möglich ist! Wie bereichernd
Momente auch außerhalb der Komfortzone sind. Wie sich Komfortzone dadurch ausdehnen kann. Früher war sicherlich die Leistung eine große Motivation für mich. Heute ist es das Erleben. Nicht das Ziel, sondern der Weg zum Ziel, wie es so schön heißt.«
Lieber einfach machen als nur schlau daherreden
Zu innerer Ruhe durch Wagnisse und wachen Weltblick. In spannungsvollen Zeiten wie diesen sicherlich kein Leichtes und eine Auffassung, die im Außen nicht immer gut ankommt. So sieht sich Bernd auch als Spiegel zur alternden Wohlstandsgesellschaft. Mit seinem Engagement will er zurückwerfen, dass »einfach machen« manchmal besser ist als »schlau daherreden«. Sein Wunsch: inspirieren und die Menschen ermutigen, nicht stehen zu bleiben. Kognitiv wie emotional. »Ich treffe leider oft auf Unzufriedenheit durch eingeschlichene Automatismen und fehlende Selbstreflexion. Ich möchte ermuntern, die Chancen, die ein Alltag bieten kann, für sich zu erkennen, um ein paar Gewohnheiten zu ändern. Oder sie zumindest mal infrage zu stellen. Das meine ich gar nicht wertend, jeder hat sein eigenes Päckchen und somit eine ganz andere Ausgangslage. Ich möchte Impulse schenken und Mut machen. Vieles, was man sich wünscht, liegt in direkter Reichweite. Eben halt nur auf der anderen Seite der Angst.«
Wir begleiten Bernd auch weiterhin auf die andere Seite der Angst. Ob auf dem Hochrad oder zu Fuß, ob nach Amerika, Australien oder sonst wohin in die Welt – wir sind gespannt, wohin es unseren Normalroutenverlasser Bernd Beigl nächstes Jahr verschlägt, was er dabei an neuem Erfahrungsreichtum mitbringt und auf welche Weise er seinen Blick dieses Mal zurechtrücken wird.
Interview und Text: Nadine Zwingel
Fotos: Bernd Beigl, Alexander Zellmer
Mehr zu Bernd gibt’s hier in seinem Normalroutenverlasser Profil oder auf seinen Social Media Kanälen auf Facebook, Instagram und Twitter.
Dies ist ein Artikel aus PLANET P. – unserem hauseigenen Print-Magazin für alle, die inspirierende Geschichten über Menschen lieben, die ihren Traum leben und dabei die Normalroute verlassen.