David Schuhwerk und das BartgeierAuswilderungsprojekt des LBV
Der größte mitteleuropäische Greifvogel kehrt zurück in sein altes Terrain. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Menschen gefürchtet und ausgerottet sind diese es heute wiederum, die den Bartgeier zurück in den heimischen Alpenraum bringen wollen.
Ob das LBV-Auswilderungsprojekt, angeleitet von den Initiatoren David Schuhwerk und Toni Wegscheider, auch langfristig gelingt, ist ebenfalls abhängig von Wohlwollen und Aufklärungsarbeit des Menschen. Im Gespräch mit dem Forstökologen und Naturenthusiasten David Schuhwerk wird klar, welche Faktoren dabei die wichtigste Rolle spielen.
David, wie kam es, dass der Bartgeier aus dem deutschen Alpenraum überhaupt verschwand?
David Schuhwerk: Bartgeier wurden fälschlicherweise eine lange Zeit als aktive Jäger betrachtet, dabei sind sie ja eigentlich Aasfresser bzw. zu 80 Prozent Knochenfresser. Das macht sie innerhalb der Aasfresser noch mal zu etwas ganz Besonderem. Sie besitzen dadurch Verhaltensweisen und körpereigene Anpassungen, die nur ihnen zugeschrieben werden können. Und sie haben zum Beispiel gar nicht die physiologischen Voraussetzungen zum Jagen. Ihre Klauen sind ziemlich stumpfe Werkzeuge. Im Volksmund bezeichnete man sie aber trotzdem damals als Lämmergeier, weil man ihnen das Stehlen von Nutzvieh und manchmal sogar kleinen Kindern nachsagte. Natürlich ist das aber ein Mythos. Durch die damit entstehende massive Verfolgung der Tiere verschwanden sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts leider irgendwann ganz von der Bildfläche. Und somit natürlich auch im deutschen Alpenraum.
Bartgeier sind sensible Geschöpfe
Heute weiß der Mensch es zum Glück besser. Trotzdem ist nicht sicher, ob das LBV-Auswilderungsprojekt im Nationalpark Berchtesgaden auch nachhaltig gelingt. Woran liegt das?
Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle. Zum Einen sind Bartgeier sensible Geschöpfe, deren Aufzucht eine ganz besondere Herausforderung bedeutet. Ursprünglich wollten wir zum Beispiel zwei Jungvögel aus dem Tiergarten Nürnberg auswildern. Der Tiergarten ist Partner des europäischen Bartgeier-Zuchtnetzwerks EEP (Erhaltungszuchtprogramm des Europäischen Zooverbands). Doch leider ist im März dann das erste Ei zerbrochen und beim zweiten starb der Embryo noch vor dem Schlüpfen. Übrigens etwas, das nicht selten auch in freier Natur vorkommt. So kamen dann letztendlich zwei Jungvögel aus Andalusien zu uns, die wir wie geplant am 10. Juni auswildern konnten. Bavaria und Wally.
Nicht gerade spanische Namen. Welche Herausforderungen gilt es noch zu bewältigen?
(lacht) Ja, das stimmt. Neben der komplexen Zucht ist nun die größte Herausforderung wieder der Mensch. Denn durch den Einsatz von Bleimunition durch Teile der Jägerschaft enthalten die meisten geschossenen Tierkadaver Rückstände von hochgiftigem Blei. Ein Nervengift, das auch für Menschen äußerst schädlich ist. Wenn dann Teile des geschossenen Wilds z. B. der Aufbruch in der Natur verbleibt, dann kann dieser von den Bartgeiern aufgenommen werden und dabei vergiften sie sich. Die Folge sind schreckliche Vergiftungen und im schlimmsten Fall der Bleitod. Das ist übrigens nicht nur bei Bartgeiern der Fall. Vor allem auch andere aasfressende und seltene Greifvögel, wie z. B. See- und Steinadler leiden sehr unter diesem Problem. Noch ein weiterer Aspekt ist zudem die Wilderei, die in einigen Ländern eine erhebliche Rolle spielt. Wir leisten hier viel Aufklärungsarbeit und beobachten zum Glück auch ein langsames Umdenken.
Monitoring als Elternzeit
Zurück zu etwas Erfreulicherem. Die Auswilderung im Juni war ein voller Erfolg. Was ist seitdem geschehen?
Viel. Vor allem aber das Monitoring. Wir beobachten Wally und Bavaria quasi rund um die Uhr und warten auf den Tag, an dem sie dann ihre sichere Auswilderungsnische komplett verlassen. Zu Beginn konnten sie ja noch gar nicht fliegen. Das ist inzwischen anders. Wir beobachten sie bei ihren Streifzügen, teilweise sogar bis nach Österreich. Dabei helfen uns Sender. So können wir bei Notsituationen jederzeit eingreifen, bis unsere Elternzeit vorbei ist. Nach ca. fünf Jahren fallen die Sender dann ab.
Was genau macht man beim Monitoring?
Puh, das ist wirklich ein ziemlich taffes Unterfangen, das wir ohne unsere Praktikantinnen und Freiwilligen gar nicht gestemmt bekämen. Danke an dieser Stelle! Beim Monitoring sitzen wir bei Wind und Wetter in ca. 350 m Entfernung zu den Bartgeiern und dokumentieren ihre Entwicklung. Wie viel sie fressen und ausscheiden zum Beispiel. Außerdem werten wir ihre Satellitendaten aus. Und all das quasi rund um die Uhr, bis die beiden dann irgendwann gänzlich davon fliegen. Ab dem Zeitpunkt behalten wir sie nur noch über die Sender im Blick.
Vielen Dank für das tolle und informative Gespräch. Ich bin wirklich sehr gespannt, wie das Projekt weitergeht und hoffe, in ein paar Jahren von einer Erholung der natürlichen Bartgeier-Population im Alpenraum berichten zu dürfen. Wir sprechen uns also sicherlich wieder.
Das hoffe ich auch. Sehr gerne und vielen Dank.
Interview und Text: Nadine Zwingel
Fotos: © Hansruedi Weyrich, © Richard Straub, LBV Bildarchiv, © Dr. Christoph Moning, LBV Bildarchiv
Wir haben nachgehakt: Nach den beiden ersten Jungvögeln Bavaria und Wally (2021) wurden Dagmar und Recka (2022), Sisi und Nepomuk (2023) und Wiggerl und Vinzenz (2024) im Klausbachtal freigelassen. Die ca. 90 Tage alten Bartgeier wurden hierbei immer in eine gut geschützte Auswilderungsnische gebracht und dort versorgt. Mit einer Überlebensrate von 88 % im ersten, bzw. sogar 96 % im zweiten Lebensjahr ist diese Vorgehensweise außerordentlich erfolgreich.
Die alpenweite Wiederansiedlung des einst heimischen Bartgeiers gilt als einzigartiges Beispiel im internationalen Naturschutz.
Weitere Infos über das LBV-Auswilderungsprojekt Bartgeier sowie regelmäßige Status-Updates findet man über die Website des LBV (www.lbv.de), den Bartgeier-Blog oder die Bartgeier Webcam.
Sensationelle Videos über die Bartgeier und ihre Auswilderung gibt es außerdem auf dem YouTube Channel des LBV.