Jonas Deichmann und der Triathlon 360 degree
Ein deutscher Extremsportler auf dem längsten Triathlon seines Lebens.
Im September 2020 startete der mehrfache Weltrekordhalter und Extremsportler Jonas Deichmann in München seinen „Triathlon 360 degree“. Nach 429 Tagen ist er genau dort wieder angekommen.
Laufen, Schwimmen, Radfahren – und das rund 40.000 Kilometer ohne Begleitsupport um die Welt. Eine Distanz, die in etwa 120 Iron Mans entspricht, zurückgelegt mit minimalem CO2-Abdruck. Nicht das erste herausfordernde Projekt des Abenteurers, hat er doch in der Vergangenheit bereits mehrfache interkontinentale Radrekorde aufgestellt. Doch sicherlich eines der Aufregendsten bisher.
Auf dem Bike fehlen mir langsam die Herausforderungen und ich habe immer davon geträumt, die Welt ohne Flugzeug zu umrunden.
München – Adria
Im verregneten München losfahren und dann ins alpinische Schneetreiben radeln verheißt erst einmal keinen glücklichen Start für Jonas. Auch an der Adria will das Wetter nicht so richtig mitspielen. Während der Schwimmstrecke nach Montenegro muss er kurz vor Erreichen der Republik deshalb mehrmals pausieren. Aber auch kaltes Wasser und reger Schiffsverkehr erschweren die Lage im Hafengebiet. Corona leistet obendrein sein Übriges und behindert den regelmäßigen Zugang zu Nahrung. Geschäfte bleiben oftmals einfach geschlossen. Wer allerdings 120 Iron Mans am Stück absolvieren möchte, freut sich über JEDES Nahrungsangebot: „Ich schwimme zum kleinen Dorf Blace, wo ich eine offene Bar finde, die leider keine Speisekarte hat. Der Besitzer sitzt mit Freunden beim Abendessen am Nebentisch und bringt mir einen Schafskopf als Geschenk. Ein sehr ungewöhnliches Essen,” erzählt Jonas.
Adria – Wladiwostok
Am 25. November 2020 erreicht Jonas schließlich Dubrovnik, wo er nach 54 Tagen und 456 Kilometern seinen Schwimmanzug endlich wieder ausziehen kann, um aufs Rad umzusteigen. Von dort geht es weiter bis in die Türkei, wo die Reise jedoch erst einmal wieder stagniert. Der Grund: Die Einreise nach Russland wird ihm verwehrt. Erst nach vier Wochen Aufenthalt erhält Jonas endlich sein Visum. Dank der Hilfe der Deutschen Triathlon Union (DTU), des Deutsch-Russischen Forums und des Russischen Olympische Komitees, die ihr Netzwerk nutzen, damit der deutsche Extremsportler endlich seine nächste Station Wladiwostok erradeln kann. Großes Glück für den Sportler, aber natürlich auch hier wieder nicht ganz ohne einen kleinen Wermutstropfen: In Russland herrscht durch die Verzögerung inzwischen tiefster Winter.
Viel Glück
verrückter Junge!
So verabschieden russische Grenzbeamte Jonas, nachdem er endlich passieren darf. Temperaturen weit unter 0 Grad, Schnee und Matsch verwandeln das Radfahren in lebensgefährliche Rutschpartien, weshalb er 300 Kilometer Umweg in Kauf nimmt. Da die Südroute gesperrt ist, führt ihn der Weg über Sibirien. Darauf vorbereitet hat sich „der Verrückte” bereits Wochen zuvor in einer deutschen Kältekammer, wo er unter anderem auch das Reifenflicken unter härtesten Temperaturbedingungen üben konnte. Kein Wunder also, dass Jonas nach seiner Ankunft in Wladiwostok erst einmal eine Sauna aufsucht – trotz dessen, dass inzwischen endlich der Frühling anklopft.
Von Wladiwostok aus will der junge Abenteurer eigentlich mit einem Frachter oder Segelboot nach Nordamerika übersetzen. Doch Corona macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Es fällt eine Entscheidung, die er eigentlich vermeiden wollte: Jonas kauft sich ein Flugticket und sagt dazu: „Schade, dass ich über den Pazifik fliegen muss, denn ich wollte möglichst CO2-neutral um die Welt reisen. Ich werde deshalb eine Ausgleichszahlung an eine Naturschutzorganisation für die CO2-Belastung leisten. Am Ende hatte ich einfach keine Wahl.”
Mexiko
In Mexiko sind es wieder Jonas’ Füße, die ihn voranbringen. Über die Tage entwickelt sich der Extrem-Triathlet zu einem regelrechten mexikanischen „Forrest Gump”. Zahlreiche Fans und Sportler gesellen sich streckenweise zu ihm, Zeitungen berichten über “El Forrest Gump alemán”. Ein wachsender Medienrummel bleibt nicht aus, sodass sich ihm in El Salto schließlich sogar ein ganzer lokaler Laufclub anschließt. Dieser wird wiederum begleitet von einem Straßenhund namens La Coqueta.
Der Hund heizt den Medienrummel noch weiter an und La Coqueta entwickelt sich seitdem zu Mexikos berühmtestem Hund. Zahlreiche Beiträge über die Fellnase sorgen dafür, dass eine Familie aus El Salto ihn bei sich aufnimmt. Happy End für den Hund, Open End für Jonas. Denn der Triathlon 360 degree ist noch lange nicht zu Ende.
Auch in Tehuacan erwarten ihn tausende begeisterter Fans sowie Reporter. Ein Umstand, der Fluch und Segen zugleich ist. Denn die zahlreichen Geschenke, die man ihm überreicht, erschweren sein Vorankommen. Gleichzeitig ist die Freude groß über so viel Gastfreundlichkeit und Interesse an seiner sportlichen Mission.
Es wird immer heißer (35 Grad) und die Luftfeuchtigkeit ist extrem hoch. Jonas kämpft gegen Kopfschmerzen und Krämpfe, wie er sie seit Jahren nicht hatte. Ein ehemaliger Fußballspieler begleitet ihn eine Weile. Er hat durch einen Tumor sein Bein verloren und trainiert nun mit Krücken auf einen Marathon. Er schafft damit bereits acht bis neun Kilometer – für Jonas ist er DIE Motivation weiterzumachen.
Weil es so gefährlich ist, wird Jonas teils auf Schritt und Tritt von Polizisten eskortiert, manche sogar mit Maschinengewehren. Die Landschaft ist inzwischen sehr eintönig, die Temperatur steigt auf 40 Grad. Nach Merida wird Jonas wieder von zahlreichen Mitläufern begleitet, der Medienrummel ist unbeschreiblich genauso wie in Cancun, sein letztes Ziel auf dem südamerikanischen Kontinent.
Europa
Nach ein paar erholsamen Tagen in Cancun fliegt Jonas nach Lissabon, um seine letzte Etappe per Rad fortzusetzen. Er nimmt nicht die direkte Route nach München, sondern biegt nach Süden in die Algarve ab. Da er nicht im Dunklen fahren möchte, schafft er nur 160 Kilometer am Tag. In den Bergen wird es empfindlich kalt.
Nach Sevilla muss Jonas krankheitsbedingt einen dreitägigen Stopp einlegen, was seinen Zeitplan so durcheinander bringt, dass er auf dem Weg nach Valencia über 200 km pro Tag fährt. Ab Gerona begleitet ihn Triathlon Legende Jan Fredeno an der Grenze entlang nach Frankreich. Nach der Camarque und Avignon macht er einen kurzen Abstecher zum legendären Mont Ventoux.
Ab Solothurn begleiten Jonas zahlreiche Biker bis Aedermannsdorf, wo seine Familie lebt und sein offizieller Wohnsitz ist. Eine Blaskapelle empfängt ihn und viele Leute sind gekommen. Noch 3 Tage bis München!
Die letzte Fahrrad-Etappe hat es nochmal in sich: Schnee, Matsch und Kälte lassen den Spaß gefrieren. Doch am 29. November 2021 erreicht Jonas den Odeonsplatz in München, wo er 429 Tagen zuvor auf seinen Triathlon um die Welt gestartet ist. Was für ein Abenteuer!
Text: Nadine Zwingel
Fotos: (c) Jonas Deichmann, Markus Weinberg, Andrej Bavchenkov, Ravir Film Stil, Pheline Hanke
- Start: 26. September 2020 in München
- Ziel: 29. November 2021 in München
- 429 Tage
- 120 Ironman-Distanzen
- 450 km Schwimmen, 21.000 km Radfahren, 5.060 km Laufen
- Die Etappen:
o Per Fahrrad über die Alpen bis nach Karlobag an der kroatischen Küste
o 450 km / 54 Tage Schwimmen entlang der Adriaküste bis Dubrovnik (Rekord für die längste Schwimmstrecke ohne Begleitboot)
o Per Fahrrad von Dubrovnik über die Ukraine nach Russland
o Per Fahrrad 17.000 Kilometer im eisigen sibirischen Winter durch Russland bis Wladivostok
o Überquerung des Pazifiks per Flugzeug (geplant war per Segelboot oder Frachter)
o Zu Fuß 5.060 km / 117 Tagen (120 Marathons) von Tijuana quer durch Mexico nach Cancun
o Überquerung des Atlantiks mit dem Flugzeug
o Per Fahrrad 4.000 Kilometer von Lissabon nach München
- Mit seinem Projekt möchte Jonas auf den Klimawandel aufmerksam machen und sammelt Spendengelder für World Bicycle Relief und Oxfam.